Die Träume des

Heiligen Don Bosco

 

 

 

 

Auswahl der Träume

Stand: 05. März 2024

 

 

 

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Nr.

 

Überschrift online
   

 

2024

3 Rebhühner und Wachteln 05.03.
   

 

2023

2 Die Raben 23.10.
1 Ein Himmlischer Auftrag 31.01.
  • http://www.mutterdererloesung.de

 

 

Traum 3

 

Rebhühner und Wachteln

 

  • Diesen Traum hatte Don Bosco am 14. Januar 1865 und er erzählte ihn zwei Tage später seinen Jungen:

 

Die Hälfte des Monats Januar ist schon verflossen. Wie habt ihr die Zeit be-nützt? Wenn es euch gefällt, erzähle ich euch heute Abend einen Traum, den ich in der vorletzten Nacht hatte.

 

Ich war unterwegs mit den Jungen des Oratoriums und mit vielen anderen, die ich nicht kannte. Bei einem Weinberg hielten wir an, um zu frühstücken. Die Buben liefen herum in der Absicht, Früchte zu essen. Einer aß Feigen, ein an-derer Trauben wieder andere Pfirsiche oder Pflaumen. Ich war mitten unter ihnen und schnitt Weintrauben ab. Auch pflückte ich Feigen und gab sie den Jungen. Dabei sagte ich:

  • “Nun nimm und iß.”

Es schien mir, als träumte ich und es tat mir leid, daß es nur ein Traum sein sollte. Doch sagte ich mir:

  • “Sei es wie es wolle; wir lassen die Jungen essen.”

Mitten in den Reihen gewahrte ich den Winzer.

Als wir uns erquickt hatten, setzten wir unseren Weg durch den Weinberg fort. Das war aber sehr beschwerlich. Der Weinberg war nämlich, wie es zu sein pflegt, in seiner ganzen Länge von tiefen Furchen durchschnitten, so daß man zuweilen hinunter‑ und wieder hinaufsteigen oder gar springen mußte. 

Die Kräftigsten sprangen hinüber. Die Kleinsten taten es ihnen nach, gelangten aber nicht auf die dahinterliegende Reihe, sondern rollten in den Graben.

Darüber machte ich mir Sorgen und ich spähte umher. Da sah ich eine Straße, die an der Seite des Weinbergs entlang ging. Nun wandte ich mich mit allen Jungen dorthin. Der Winzer hielt mich aber an und sagte:

  • “Sehen Sie sich vor und gehen Sie nicht auf jener Straße X. Sie ist nicht gangbar, sie ist voll von Steinen, Dornen, Schmutz und Furchen. Setzen Sie den eben eingeschlagenen Weg fort.”

Ich antwortete:

  • “Sie haben recht, aber diese ganz Kleinen können nicht über die Furchen kommen.”
  • “Oh, das ist schnell gemacht”, erwiderte er. “Die Größten mögen die Klei-nen auf die Schultern nehmen; sie können springen, obwohl sie die Last tragen.”

Ich war nicht ganz davon überzeugt und ging mit meiner ganzen Schar zum Rand des Weinbergs an die Straße heran und stellte fest, daß der Winzer die Wahrheit gesagt hatte. Die Straße war in einem schrecklichen Zustand und un-brauchbar. Ich wandte mich an Don Francesia und sagte:

  • “Incidit in Scyllam qui vult vitare Charybdim” (= Man verfällt der Scylla, wenn man die Charybdis meiden will. Ein Bild aus der Odyssee. Der Sinn entspricht un-serem Sprichwort: Man kommt aus dem Regen in die Traufe).

— Wir mußten nun den Rat des Winzers befolgen und den Pfad benützen, der neben der Straße herlief, um so gut wie möglich durch den ganzen Weinberg zu gelangen. Am Ende des Weinbergs stießen wir auf eine dichte Dornenhe-cke. Nur mit großer Mühe fanden wir einen Durchgang. Dann marschierten wir von einem hohen Hügel hinunter und gelangten in ein liebliches Tal, das ganz mit Gras und Bäumen bedeckt war. Mitten auf einer Wiese sah ich zwei frühe-re Zöglinge des Oratoriums. Kaum hatten sie mich erblickt, so kamen sie auf mich zu und begrüßten mich. Sie blieben stehen und sprachen mit den ande-ren. Als sie sich so eine Weile unterhalten hatten, sagte einer von ihnen:

  • “Sehen Sie da, wie schön!”

Dabei zeigte er mir zwei Vögel, die er in der Hand hatte.

  • “Was sind das für Tiere?”, fragte ich.
  • “Ein Rebhuhn und eine Wachtel. Ich habe sie gefunden.”
  • “Lebt denn das Rebhuhn?”, fragte ich weiter.
  • “Oh ja, sehen Sie es nur genau an.”

Und er gab mir ein schönes, nur einige Monate altes Rebhuhn.

  • “Frißt es schon allein?”
  • “Es fängt eben an.”

Während ich dem Tier etwas zu fressen gab, stellte ich fest, daß es den Schna-bel in vier Teile gespalten hatte. Darüber wunderte ich mich und fragte den Jungen nach dem Grund dieser Erscheinung. Und er sagte:

“Weiß Don Bosco wirklich nicht, was das heißen soll? Der in vier Teile gespal-tene Schnabel des Rebhuhns bedeutet das gleiche wie dieses selbst.”

  • “Das verstehe ich nicht,” antwortete ich.
  • “Das verstehen Sie nicht, obwohl Sie soviel studiert haben? Wie heißt Rebhuhn auf Latein?”
  • “Perdix.”
  • "Nun gut, da haben Sie den Schlüssel zu allem.”
  • “Sei so gut und hilf mir aus der Verlegenheit, ich verstehe nichts.”
  • “Dann betrachten Sie doch einmal die einzelnen Buchstaben, aus denen das Wort Perdix besteht.”

P: soll heißen ‚perseverantia' (Ausdauer, Beharrlichkeit).

E: ‚Aeternitas te exspectat' (die Ewigkeit erwartet dich).

R: ‚Referet unusquisque secundum opera sua, prout gessit, sive bonum, sive malum' (einem jeden wird vergolten werden nach seinen Werken, je nach-dem er Gutes oder Schlechtes getan hat).

D: ‚Dempto nomine' (ausgelöscht ist jeder menschliche Ruhm, alle Ehre, Wissenschaft und Reichtum).

I: bedeutet ‚lbit'.

  • "So deuten die vier Teile des Schnabels die vier letzten Dinge des Men-schen an.”
  • “Du hast recht. Das habe ich verstanden. Sag mir nun auch, wo du das X gelassen hast. Was soll denn dieser Buchstabe bedeuten?”
  • “Wie, Sie haben doch Mathematik studiert und wissen nicht was X bedeu-tet? X ist die Unbekannte.”
  • “Statt dessen kann man auch sagen ‚der Unbekannte', nämlich der unbe-kannte Ort: an einen unbekannten Ort wird er kommen (in locum suum — an seinen Ort)”.

Während ich mich über diese Erklärung wunderte und doch überzeugt war, fragte ich ihn:

  • “Schenkst du mir dieses Rebhuhn?"
  • "O ja, sehr gerne. Wollen Sie auch die Wachtel sehen?”

Da hielt er mir eine prächtige Wachtel hin; sie sah wenigstens so aus. Ich nahm sie entgegen, hob ihre Flügel etwas hoch und sah, daß sie voll Wunden war und ganz unrein und eitrig aussah. Auch roch sie ekelhaft. Ich fragte nun den Jungen, was das zu bedeuten habe. Er antwortete:

  • “Priester, Priester, das weißt Du nicht und hast doch die Heilige Schrift studiert! Weißt Du nicht mehr, daß die Hebräer in der Wüste murrten und Gott ihnen die Wachteln sandte? Sie aßen davon und hatten noch das Fleisch zwischen den Zähnen, als viele tausend durch die Hand des Herrn bestraft wurden. Also bedeutet diese Wachtel, daß der Gaumen mehr tötet als das Schwert; hier liegt die Quelle der meisten Sünden.”

Ich dankte dem Jungen für seine Erklärung. Inzwischen tauchten in Hecken, auf Bäumen und im Gras Rebhühner und Wachteln in großer Zahl auf. Sie glichen denen, welche der Knabe in der Hand hielt, der mit mir gesprochen hatte. Die Jungen aber fingen an, Jagd auf die Vögel zu machen und sorgten so für ihre Mahlzeit. Dann machten wir uns wieder auf den Weg. Alle, die von den Rebhühnern gegessen hatten, waren kräftig und setzten ihren Weg fort. Diejenigen aber, die Wachteln gegessen hatten, blieben im Tal. Sie folgten mir nicht, blieben auch nicht beisammen und ich verlor sie aus dem Auge und sah sie nicht wieder.

  • Der Traum dauerte die ganze Nacht. Am Morgen war ich so müde und er-schöpft, daß ich mir vorkam, als wäre ich die ganze Nacht auf Reisen ge-wesen.

Ich wünsche dringend, daß diese Dinge, die ich euch hier erzählt habe, nicht außerhalb des Oratoriums weitererzählt werden. Unter euch könnt ihr darüber sprechen, soviel ihr wollt; tragt aber nichts aus dem Haus.

 

  • In der Abendansprache am 18. Januar kam Don Bosco noch einmal auf den Traum zu sprechen.

Er sagte: Ihr wollt doch sicher mehr über den Traum wissen. So will ich erklä-ren, was Wachtel und Rebhuhn bedeuten.

  • Das Rebhuhn bedeutet — klar ausgedrückt — die Tugend,
  • die Wachtel das Laster.

Warum die so schön aussehende Wachtel bei näherem Zuschauen Wunden unter den Flügeln hatte und ganz ekelhaft roch, wißt ihr und brauche ich euch nicht zu erklären; es sind schändliche Dinge.

  • Einigen Jungen schmeckte die Wachtel gut. Sie aßen mit Gier davon, obwohl das Fleisch faul war. Das sind jene, die sich dem Laster erge-ben.
  • Andere aßen vom Rebhuhn. Es sind solche, welche die Tugend lieben und darum auch üben.
  • Manche hielten in der einen Hand eine Wachtel und in der anderen ein Rebhuhn. Sie aßen aber von der Wachtel. Das sind jene, die zwar die Schönheit der Tugend kennen, wollen aber mit der Gnade, die Gott ihnen schenkt, nicht mitwirken, um tugendhaft zu werden.
  • Wieder andere, die in der einen Hand ein Rebhuhn und in der ande-ren eine Wachtel hielten, aßen zwar vom Rebhuhn, warfen aber be-gehrliche und gierige Blicke nach der Wachtel. Das sind jene, welche die Tugend zwar üben, aber nur mit viel Mühe und Anstrengung. An ihnen kann man zweifeln, ob sie sich ändern oder doch bei der nächsten Gele-genheit fallen werden.
  • Manche aßen vom Rebhuhn, während Wachteln vor ihnen herum-flatterten; diese Jungen schauten aber nicht darauf, sondern fuhren fort, ihr Rebhuhn zu essen. Das sind jene, die tugendhaft sind und das Laster verabscheuen und verachten.
  • Einige aßen ein wenig vom Rebhuhn und ein wenig von der Wachtel.  Bei ihnen wechselt die Tugend mit dem Laster ab. Sie geben sich einer Täuschung hin, indem sie meinen, nicht schlecht zu sein.

Ihr werdet fragen: “Wer von uns aß Wachteln und wer vom Rebhuhn?” Vielen habe ich es schon gesagt; die anderen mögen, wenn sie wollen, zu mir kom-men, und ich werde es ihnen sagen.

 

  • Dieser Traum Don Boscos bedarf keiner weiteren Erklärung. Der Heilige hat sie selbst gegeben und setzte daher auch mit Recht voraus, daß seine Jungen Sinn und Lehre dieses Traumes verstanden hätten.

 

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Traum 2

 

 Die Raben

 

 

Am 14. April 1864 erzählte Don Bosco folgende zwei Träume, die er einige Nächte vorher gehabt hatte:

 

“Am 3. April, in der Nacht vor dem Weißen Sonntag, schien es mir im Traum, als befände ich mich auf einem Balkon und sähe die Jungen beim Spiel. Da plötzlich sah ich, wie sich ein großes weißes Laken über den ganzen Hof her-niedersenkte und ihn bedeckte; die Jungen spielten aber weiter.

Während ich sie noch beobachtete, sah ich eine große Menge Raben. Sie flat-terten und kreisten über dem Tuch umher. Schließlich entdeckten sie die Rän-der des Tuches, flogen darunter, stürzten sich auf die Jungen und hieben mit ihrem Schnabel auf sie ein. Der Anblick erregte Mitleid.

  • Dem einen Jungen hackten sie die Augen aus,
  • einem anderen zerhackten sie die Zunge,
  • einem dritten zerhieben sie die Stirne, und
  • wieder einem anderen zerrissen sie das Herz.

Was mich aber am meisten in Erstaunen setzte, war die Feststellung, daß kei-ner schrie oder sich beklagte, sondern alle blieben kalt, ja sogar gefühllos und suchten sich nicht zu verteidigen.

  • “Träume ich vielleicht”, sagte ich, “oder bin ich wach? Wenn ich nicht träu-me, wie ließe sich dann erklären, daß die Jungen sich so mißhandeln las-sen ohne vor Schmerz zu schreien?”

Aber kurz darauf hörte ich ein allgemeines Wehklagen. Dann sah ich, wie die Verwundeten sich erregten, und ich hörte wie sie schrien und lärmten und sich von den übrigen absonderten.

  • Verwundert darüber überlegte ich, was das bedeuten sollte. “Vielleicht”, so dachte ich, hängt es mit dem Weißen Sonntag zusammen. Will der Herr uns zeigen, was seine Gnade für uns alle zu bedeuten hat? Die Raben versinnbilden Teufel, welche die Jungen angreifen.”

Während ich das erwog, hörte ich ein Geräusch und erwachte. Es war schon Tag, und irgend jemand hatte an meiner Türe geklopft. Über alles das war ich nicht wenig erstaunt, als ich am Montag bemerkte, daß die Zahl der Kommu-nionen abgenommen hatte. Am Dienstag sank sie noch mehr und am Mittwoch waren es auffallend wenige, so daß ich zur halben Messe schon mit Beichthö-ren fertig war. Ich wollte aber nichts sagen, denn die Exerzitien standen bevor. So hoffte ich, es würde alles in Ordnung kommen.

 

  • Gestern am 13. April hatte ich noch einen Traum:

Ich hatte den ganzen Tag hindurch Beichte gehört und war in meinen Gedan-ken noch mit den Seelen der Jungen beschäftigt, wie das stets der Fall ist. Am Abend ging ich zu Bett, konnte aber keinen Schlaf finden. Erst nach einigen Stunden fing ich an zu schlafen. Es schien mir, als befände ich mich wieder auf dem Balkon und beobachtete von dort die spielenden Jungen. Ich gewahrte al-le, auch die von den Raben Verwundeten. Ich sah überhaupt alles. Es erschien jemand mit einem kleinen Gefäß in der Hand, das Balsam enthielt und ein an-derer, mit einem Leinentuch, begleitete ihn. Beide begannen die Wunden der Jungen zu behandeln. Die Wunden heilten, sobald sie vom Balsam berührt wurden. Einige Jungen jedoch machten sich davon, als sie die beiden heran-kommen sahen. Sie wollten nicht geheilt werden. Mir mißfiel es sehr, daß es nicht nur einzelne waren. Nun bemühte ich mich, ihre Namen auf ein Stück Pa-pier zu schreiben; ich kannte nämlich alle. Während ich nun schrieb, erwachte ich und fand mich ohne Papier.

Die Namen hatte ich mir aber durch das Schreiben ins Gedächtnis eingeprägt und jetzt weiß ich sie fast alle. Vielleicht habe ich auch einige vergessen; doch dürften es nur wenige sein.

Jetzt setze ich meine Unterredung mit den Jungen fort. Mit einigen habe ich schon gesprochen. Ich werde mich bemühen, die Wunden aller zu heilen. Legt dem Traum an Wichtigkeit bei, soviel ihr wollt; meinen Worten aber schenkt vollen Glauben. Es schadet eurer Seele nicht im geringsten. Ich möchte jedoch haben, daß keiner diese Dinge aus dem Oratorium trägt. Euch sage ich alles, möchte aber haben, daß ihr alles hier drinnen laßt.”

 

In der Unterredung mit seinen Jungen hat Don Bosco gewiß jedem einzelnen die entsprechende Erklärung zu diesem Traum gegeben und dabei auf das hingewiesen, was der Rabe, was die Verletzungen der Jungen und was deren Heilung zu bedeuten habe.

 

Der Rabe wird allgemein Galgenvogel genannt. Man spricht auch von einem Unglücksraben und man betrachtet ihn als Unheilverkünder und Pechvogel.

  • In diesem Traum versinnbildet der Rabe den bösen Geist, den Teufel, der die Menschen ins Unglück stürzen will, indem er sie blind macht für das Gute und stumm, wenn es sich darum handelt, ein offenes, reumütiges Bekenntnis in der Beichte abzulegen.
  • Er raubt den Menschen, die nicht vor ihm fliehen, gleichsam den Verstand, die klare Unterscheidung zwischen Gut und Böse und nimmt ihr Herz, ihre Liebe, für sich, d. h. für sündhafte Freuden, in Anspruch.
  • Der im zweiten Traum erwähnte Balsam bedeutet reumütiges Vertrauen auf Gottes Barmherzigkeit, das wie Balsam wirkt.
  • Die Behandlung mit dem Leinentuch versinnbildet die Abwaschung der Sünden im Bußgericht.

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Traum 1

 

Ein Himmlischer Auftrag

(Erster Traum)

 

  • Don Bosco: Als ich ungefähr neun Jahre alt war, hatte ich einen Traum, der mir mein ganzes Leben lang tief im Gedächtnis haften blieb.

Im Traume schien es mir, als befände ich mich unweit meiner Heimat, auf ei-nem sehr geräumigen Hof. Auf diesem hatte sich eine große Schar Jungen versammelt. Viele von ihnen liefen munter umher, lachten und spielten; nicht wenige aber fluchten. Als ich ihr Fluchen vernahm, stürzte ich sofort auf sie los. Ich wollte sie mit Schlägen und Schelten zum Schweigen bringen.

In dem Augenblick erschien ein hoheitsvoller Herr. Er stand im Mannesalter und war sehr schön gekleidet. Ein weißer Mantel umhüllte seine ganze Gestalt. Sein Antlitz leuchtete so stark, dass ich ihn nicht anzublicken vermochte.

Der Herr redete mich freundlich mit meinem Namen an und gab mir die Anwei-sung: “Stelle dich an die Spitze der Jungen! “Und er fügte noch hinzu: “Nicht mit Schlägen, sondern mit Milde, Güte und Liebe musst du dir diese zu Freun-den gewinnen. Fange daher sofort an, sie über die Hässlichkeit der Sünde und über den Wert der Tugend zu unterrichten.”

Ganz verwirrt und erschrocken gab ich zur Antwort, ich sei ein armer, unwis-sender Knabe und nicht fähig, mit diesen Jungen über Religion zu sprechen.

In dem Augenblick hörten die Jungen mit dem Lachen, Lärmen und Fluchen auf und scharten sich alle um den Herrn, der soeben gesprochen hatte. Fast ohne zu wissen, was ich tat, sagte ich: “Wer sind Sie eigentlich, dass Sie mir etwas Unmögliches befehlen?” Der Herr antwortete: “Gerade weil dir diese Auf-gabe unmöglich erscheint, musst du sie durch Gehorsam und Erwerb der Wis-senschaft möglich machen.” Darauf fragte ich ihn: “Aber wie und wo kann ich mir das nötige Wissen aneignen?”

Seine Antwort lautete: “Ich werde dir eine Lehrmeisterin geben. Unter ihrer Lei-tung wirst du gelehrt werden. Ohne sie ist alles Wissen Torheit.”

“Wer sind Sie überhaupt”, fragte ich noch einmal, “dass Sie in dieser Art zu mir sprechen?”

Der Herr antwortete: “Ich bin der Sohn derer, die du dreimal am Tage grüßest, wie deine Mutter dich gelehrt hat.”

Darauf wagte ich zu sagen: “Meine Mutter hat mir verboten, mich ohne ihre Er-laubnis mit Personen zu unterhalten, die ich nicht kenne. Bitte nennen Sie mir daher Ihren Namen.”

Da sagte der Herr: “Frage meine Mutter nach meinem Namen!” In dem Augen-blick sah ich neben ihm eine Dame von majestätischem Aussehen.

Sie war mit einem Mantel bekleidet, der über und über so strahlte, als wäre er mit hell leuchtenden Sternen besät. Der Herr sah, dass ich in meinen Fragen und Antworten immer verwirrter wurde und gab mir ein Zeichen, mich der Da-me zu nähern.

Diese fasste mich liebevoll bei der Hand und sagte zu mir: “Schau mal!” Ich blickte auf und nahm wahr, dass alle Jungen verschwunden waren. An ihrer Stelle aber sah ich eine Menge Ziegenböcklein, Hunde, Katzen, Bären und viele andere Tiere. Die Dame sprach weiter: “Schau, dies ist dein Feld, hier musst du arbeiten. Werde demütig, stark und tapfer; denn was du an diesen Tieren geschehen siehst, das sollst du an meinen Kindern tun.”

Hierauf blickte ich um mich und sah, dass an Stelle der wilden Tiere ebenso viele sanfte Lämmer erschienen. Diese hüpften vergnügt umher und blökten munter, als wollten sie den Herrn und die Dame herzlich begrüßen.

Immer noch im Traum begann ich zu weinen und bat die Dame, sich verständ-licher auszudrücken; denn ich begriff nicht, was das alles bedeuten sollte. Darauf legte sie freundlich ihre Hand auf meinen Kopf und sagte: “Zur gegebe-nen Zeit wirst du alles verstehen.” Als sie das gesagt hatte, wurde ich durch irgendein Geräusch geweckt, und alles war verschwunden. —

Ich war wie betäubt. Mir war, als täten mir meine Hände noch von den Schlä-gen weh, die ich ausgeteilt hatte. Mein Gesicht schien von den Ohrfeigen zu schmerzen, die ich von den Lausbuben erhalten hatte. Zudem beschäftigten sich meine Gedanken mit der erhabenen Person und der Dame sowie mit dem Gehörten und Gesagten, so dass ich in jener Nacht keinen Schlaf mehr finden konnte.

Am folgenden Morgen erzählte ich meinen Traum im Familienkreise. Jeder der Angehörigen äußerte seine Meinung dazu. Der Bruder Josef sagte: “Du wirst einmal ein Hirte von Ziegen, Schafen oder sonstigen Tieren. ” Meine Mutter meinte: “Wer weiß, ob er nicht Priester werden muss.” Anton brummte sehr trocken: “Vielleicht wirst du einmal ein Räuberhauptmann.” Die Großmutter aber beschloss das Thema, indem sie sagte: “Man darf auf Träume nichts ge-ben.” Ich selber stimmte der Meinung meiner Großmutter zu, doch konnte ich den Traum nie aus dem Gedächtnis bringen.”

 

  • Als Johannes Bosco 16 Jahre alt war, wiederholte sich der Traum.

Er selber erzählte ihn folgendermaßen:

Im Traum sah ich eine vornehme Dame auf mich zukommen. Sie führte eine überaus große Herde an. Als sie nahe bei mir war, redete sie mich mit folgen-den Worten an: Schau, Johannes, diese ganze Herde vertraue ich deiner Ob-hut an.” Da fragte ich: “Wie soll ich es anstellen, so viele Schafe und Lämmer zu hüten und zu betreuen? Wo finde ich die nötigen Weiden, auf die ich sie führen könnte?” Die Dame antwortete mir: “Habe keine Angst; ich werde dir beistehen.” Darauf verschwand sie.

 

  • Mit 19 Jahren wiederholte sich der erste Traum noch einmal.

Im Traum sah Johannes Bosco eine erhabene, majestätische Person, die weiß gekleidet war und in hellem Glanz erstrahlte. Der vornehme Herr war damit be-schäftigt, eine überaus zahlreiche Jungenschar zu leiten.

Er wandte sich an Johannes und sagte: “Komm her, stelle dich an die Spitze dieser Jungen und führe du sie an!” 

Darauf antwortete Johannes Bosco, er sei nicht fähig, so viele Tausende von Jugendlichen zu unterrichten und zu leiten. Die hoheitsvolle Person aber be-stand gebieterisch auf ihrem Befehl, bis Johannes sich an die Spitze der gro-ßen Jungenschar stellte und sie auftragsgemäß zu führen begann.

 

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